Nicht nur die Zeit am Schreibtisch zählt, wenn es darum geht, Texte zu erarbeiten. Es zählt auch die Zeit vor dem eigentlichen Schreiben und nach dem ersten Schreibdurchlauf beziehungsweise zwischen den Schreibzeiten. Das gilt für kurze aber auch für lange Texte…
Beziehen Sie diese Zeiträume bewusst mit ein, müssen Sie das leere Blatt Papier nicht mehr hypnotisieren, um es mit Sätzen füllen zu können. Auch werden Sie erst gar nicht über eine Schreibblockade nachdenken müssen, falls Sie ins Stocken geraten sollten.
Ganz konkret ein Beispiel aus dem autobiografischen Schreiben: Sie wollen ein Ereignis aufschreiben, ein Erlebnis, das Ihr Leben prägte, an das Sie gerne zurückdenken. Das kann etwas besonders Schönes sein wie der Tag, an dem Sie Ihren Lebenspartner kennenlernten oder Ihnen eine sehr positive Nachricht übermittelt wurde. Vielleicht schiebt sich aber auch ungefragt ein Lebenserlebnis in Ihre Gedankenwelt, ein Ereignis, womit Sie sich nicht so gerne beschäftigen. Aber Sie wissen, dass es für Ihr Leben bedeutsam war. Die Erinnerungen spulen sich in Ihrem Kopf nacheinander ab, Ihre Gedanken kreisen um einzelne Momente, hängen an bestimmten Details fest. Ein Gedankenkarussell stellt sich ein. Sobald Sie sich hingesetzt haben, um es aufzuschreiben, wissen Sie nicht mehr, wie Sie beginnen sollen. Falls Sie die ersten Sätze geschrieben haben, grübeln Sie, wie Sie weiterschreiben können und ob Sie überhaupt darüber schreiben sollen.
Um diese lähmenden Momente zu vermeiden, beziehen Sie in Ihren Schreibprozess bewusst die Zeit vor und nach dem tatsächlichen Schreiben mit ein. Denn es gibt zwei Phasen neben dem eigentlichen Schreiben, die beeinflussen, ob Sie gut mit Ihrem Schreibprojekt vorankommen oder eine gefühlte Ewigkeit brauchen, um Ihre Gedanken und Erinnerungen in Worten zu formulieren.
Das Schreiben beginnt im Kopf, bevor Sie den Stift in die Hand nehmen oder die Hände auf die Tastatur legen. Und die Arbeitszeit endet nicht, wenn Sie den Stift zur Seite legen oder den Computer herunterfahren, nachdem sie den Text gespeichert haben.
Drei Phasen der Textarbeit:
Einstimmen, Schreiben, Nachspüren
Phase 1 – Einstimmen
In der ersten Phase bereiten Sie sich innerlich darauf vor, Ihre Erinnerungen anzukurbeln. Sie signalisieren sich selbst, dass Sie nun beabsichtigen, etwas aus Ihrem Leben festzuhalten. Ihr Unterbewusstsein fängt an zu arbeiten und liefert erste Gedanken und Gefühle. Nehmen Sie sich Zeit, diese Einfälle in Stichpunkten zu notieren. Geben Sie auch Ihren Gefühlen Aufmerksamkeit. Wie geht es Ihnen damit, sich mit diesem Thema zu beschäftigen? Schreiben Sie ungefiltert alles auf, was Sie bewegt, wenn Sie über Ihr Schreibprojekt nachdenken.
In einem nächsten Schritt strukturieren Sie Ihre Gedanken und Gefühle. Sie können ein Mind-Map anlegen, Ihre Einfälle in Bildern skizzieren oder Ihre Ideen auflisten. Welche Form für Sie geeignet ist, um Ihre Erinnerungsarbeit zu veranschaulichen, müssen Sie ausprobieren. So oder so – mit diesem Skript haben legen Sie eine erste Übersicht an, was alles mit der Erinnerung an dieses Erlebnis verbunden ist.
Wenn Sie zu den planenden Menschen gehören, legen Sie daraufhin fest, in welche Abschnitte Sie den Gesamttext unterteilen möchten. Zum Beispiel
(1) Wie alles begann…
(2) Das Erlebnis
(3) Was nachher war…
Überlegen Sie, ob Sie alles in einem Rutsch aufschreiben können. Das geht, wenn Sie eine Anekdote festhalten möchten. Wenn Sie anstreben, ein komplexes Lebensereignis zu Papier zu bringen, wird sich der Text umfangreicher gestalten. Dann benötigen Sie mehrere Schreibzeiten, um alles zu formulieren.
Phase 2 – Schreiben
In der Schreibphase, wenn Sie Ihre Geschichte verfassen, geht es darum, in einen Schreibfluss zu kommen. Feilen Sie nicht an jedem Satz herum, schreiben Sie einfach los. Fangen Sie mit dem Satz an, der Ihnen in den Sinn kommt, wenn Sie den Stift in der Hand haben oder am Computer sitzen. Überflüssiges kann später gestrichen werden. Auch wenn Sie trotz der vorhergehenden Einstimmung Zweifel hegen, wie
„Was wird XY denken, wenn ich das aufschreibe…?“,
oder Sie sich fragen,
„Oh je, wie soll ich nun beginnen…?“,
schreiben Sie diesen Satz genauso auf, wie Sie ihn gerade denken. Lassen Sie den nächsten Gedanken folgen. Notieren Sie die Worte, wie Ihr Kopf sie liefert.
Betrachten Sie zwischendurch Ihr Mind-Map, Ihre Skizze oder Ihre Ideenliste. Was fehlt noch? Entwickeln Sie schreibend Ihren Text. Arbeiten Sie alles ab, was Sie in dieser Schreibeinheit bearbeiten wollten. Wenn die Zeit zu knapp ist, alles ausführlich zu beschreiben, fixieren Sie zunächst eine Zusammenfassung. Ergänzen können Sie später. Bringen Sie Ihren Text zu Ende oder bis zu dem Textabschnitt, den Sie angesteuert haben.
Planen Sie abschließend, wann Sie Ihren Text überarbeiten beziehungsweise fertigstellen werden. Dann legen Sie eine Pause ein und verlassen Sie Ihren Schreibplatz.
Phase 3 – Nachspüren
Beschäftigen Sie sich anschließend mit etwas, was es Ihnen ermöglicht, im Hinterkopf weiterzuarbeiten. Sie können einen Spaziergang unternehmen, kochen, die Wohnung aufräumen oder die Blumen gießen. Ganz egal. Hauptsache Ihr Kopf ist frei, frei Impulsen aus der Schreibzeit nachzugehen. Sie werden merken, dass Ihnen zusätzliche Einzelheiten einfallen. Zusammenhänge werden klar. Protokollieren Sie diese vertiefenden und weiterführenden Gedanken.
Abschließend notieren Sie, was genau Sie in der nächsten Arbeitseinheit bearbeiten möchten: Den zweiten Abschnitt schreiben oder den bereits formulierten Text überarbeiten.
Wenn Sie Ihre Aufzeichnungen nachlesen, direkt bevor Sie sich erneut an den Text setzen, stimmen Sie sich mühelos und zielführend auf die nächste Schreibeinheit ein.
— • —
Je nachdem, wie umfangreich Ihre Erinnerungen sind oder wie viele Bereiche das Lebensereignis berührt, was Sie aufschreiben möchten, werden Sie einmal oder mehrmals die Phasen 1 bis 3 durchlaufen: Einstimmen – Schreiben / Überarbeiten – Nachspüren.
Weitere Impulse zum Schreiben von Lebenserinnerungen finden Sie in meinen Seminaren, Kursen oder einem individuellen Schreibcoaching. Hier geht es zu den aktuellen Terminen.