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Schreibatelier Frölich

Michaela Frölich - Publizistin M.A.

Textproben aus Schreibseminaren

Die Mitte finden

Damals, als sie nach dem Vorlesen der Großmutter in die Stille lauschte, war sie gar nicht erstaunt, dass sie die Stimme noch hören konnte, die Bilder der Geschichte sich selbständig machten. Sie fühlte sich gestärkt und liebevoll verbunden mit den Figuren der Erzählung.
Nach wenigen Jahren kamen die Fragen, die sie nicht stellte. Sie fühlte sich eher indirekt verbunden mit den Menschen, sehnte sich oft weit weg in die Ferne. Riesige Erwartungen lockten die Enttäuschungen an. Wut, Unsicherheit, aber auch Neugierde und Wachheit sorgten für Rebellion und Übertreibung.
Viel später war sie überrascht über die Pendelbewegung, die immer wieder ihre Mitte fand. Sie bekam Respekt vor dem Leben.

© Adelheid Bieger, 2012

Flüchtlinge

Flüchtlinge
Bringen Unruhe!
Man muss teilen
Ohne es zu wollen!
Wir haben selbst nicht genug!
Doch gehört die Erde allen Menschen.
Im Leben wechseln stets Wüsten mit Oasen.
Mal ist man Wüstenwanderer, mal selbst Oasenwirt.
Kommen und gehen, treffen und trennen.
Lauschen im Stillen der Einsamkeit,
lachen, befreiend in Gemeinsamkeit.
Es bleibt bestehen:
Mensch ist
Mensch!

© Edelhaide Edel, 2012

Da flankte einer

Da flankte einer
aus einem früheren Leben
über den Zaun: Du.

Es war schon Halbzeit,
herbstrot glühten die Herzen,
wärmen im Winter.

© Gloria Schieback

Prager Antonius-Wunder  

Gestern rufe ich meine Tochter an und wie es manchmal so geht, erinnern wir uns und kommen ins Schwärmen über unsere Pragreise im Spätherbst 2005. Wir fühlen sogleich wieder unsere wunderbare Stimmung von damals und es war so viel Lachen dabei. Vorausgeschickt werden muss: Wir sind Antonius-Fans – das ist bei den Katholiken der Heilige für das Fundbüro. Er ist gut beleumdet und sehr zuverlässig. Ich habe ihn schon öfters getestet. Er ist für Verlierer und Leute, die ihre Sache verlegen, sehr kostbar. Wir fuhren also über das Wochenende nach Prag. Zunächst die obligatorische Stadtbesichtigung per Bus. Die Reiseleiterin zeigte uns im Vorbeifahren eine Antonius-Kirche. Klar sagten wir: „Da gehen wir hin und machen eine Kerze an.“ Sicher ist sicher.

Leider werden wir in einem ganz anderen Stadtteil aus dem Bus gelassen, um die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Mein orientierungsbegabtes „Kind“ hat eine ungefähre Richtung im Kopf, was sehr gut ist, weil ich eher für das Erkunden zuständig bin. Also los, über Brücken und in Kirchen, rein und raus. Da ist uns auch das Jesuskind von Prag mit seinen zig Prunkkleidern begegnet und vieles anderes Interessantes – aber kein Antonius.

Es wird düster und die Gegend ist auch nicht mehr anheimelnd. Erschöpft machen wir eine Pause und ich merke, dass uns der mitgebrachte Proviant ausgeht. Wir sind hungrig. Ist es doch bereits spät am Abend. Jetzt muss sich Antonius bewähren, ich bin in Not! „Also, lieber Antonius hilf, wir brauchen Obst! Lass es uns finden!“ Beklommen gehen wir weiter. Ist er auch dafür zuständig? Oder nur für verloren gegangene Schlüssel? Kaum stoßgebetet und gekichert, treffen wir auf eine Eisdiele mit Bananen- und Erdbeereis. „Nein Antonius, kein Eis, bitte nur Obst. Also Äpfel, Orangen und so, ja?“ Wir drehen uns um und starren auf einen Lieferwagen mit einem wunderschön aufgemalten Obst-Korb. Wir lachen und stellen fest, wir müssen unseren Wunsch präzisieren. „Lieber Antonius, wir brauchen Obst zum Essen nicht zum Angucken!“

Na, was wir jetzt bekommen, das glaubt uns kein Mensch. Ein paar Schritte weiter ein Bio- und Delikatessgeschäft mit frischem, wunderbarem Obst. Nichts wie rein und wir erstehen stolz und dankbar unser teures Obst. Ein paar Schritte die Straße entlang ist ein arabisches Geschäft offen. Sie haben viel billigeres Obst. Sagte ich schon, dass der Wunsch präzise sein sollte? Unser Antonius hat Humor. Jetzt müssen wir ihn wirklich finden. Soviel Hilfe muss bedankt werden. Es ist inzwischen ganz dunkel geworden. Wir rufen fröhlich und auch etwas unsicher: „Antonius, Antonius, lass dich finden!“ Und da ist die Kirche nicht weit und trotz der späten Stunde ist sie noch offen. Wir treten ein. Da steht er und lächelt milde. Wir zünden unsere Kerzen an und unsere Freude brennt noch immer, obwohl es schon ein paar Jährchen her ist.

© Hella Wüst

Schneeball-Gedicht

Für Michaela Frölich

M ut zum Schreiben

I n der Gruppe zusammen

C haos im Leben ordnen wir

H alten Erinnerungen, Eindrücke und Szenen fest

A utobiografisches aus den Tiefen unserer Seele erscheint

E rstaunlich stark kommen die Gefühle empor

L esend den anderen sich öffnen

A bschiede gehören zum Leben

Mut zum Schreiben

F ragen sollen wir

R eisen in die Vergangenheit

O rte, Innen- und Außenwelten erkunden

E ltern als Kind und Erwachsene betrachten

L oslassen ein großes Thema in unserem Alter

I mmer wieder „Ja“ sagen zum Leben

C hronologisch zum Schluss alles ordnen

H aben wir nichts vergessen?

Fragen sollen wir

Monika Maria Kuhn, 15. Februar 2015

Autobiografisches Schreiben III, Uni Mainz