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Schreibatelier Frölich

Michaela Frölich - Publizistin M.A.

Warum ich neugierig auf den Roman „Die Unruhigen“ wurde?

Auf der Frankfurter Buchmesse 2018 besuchte ich die Pressekonferenz von Norwegen – Ehrengast 2019. Eine der Schriftstellerinnen, die im Podium der Gesprächsrunde saß, war Linn Ullmann, eine der bedeutenden Autorinnen Skandinaviens. Linn Ullmann ist zudem die Tochter der bekannten Schauspielerin Liv Ullmann und des berühmten schwedischen Filmemachers Ingmar Bergmann (u.a. „Szenen einer Ehe“). Das neue Werk …


 

…der Schriftstellerin heißt „Die Unruhigen“ und erschien 2018 in deutscher Sprache. Die Autorin verriet auf der Pressekonferenz, dass sie ein Buch über ihren Vater habe schreiben wollen. Da sie sich aber zu wenig hätte erinnern können, hätte sie die Form eines Romans gewählt. Generell wäre man in der Belletristik freier im Schreiben, was nicht heißen würde, dass das Erzählte erfunden sein müsse. So steht auf dem Buchcover: „Es ist eine fiktive Geschichte. Das macht sie aber nicht weniger wahr.“ Genau dies weckte mein Interesse als Biografin. Wie würde sie über ihren berühmten Vater schreiben? An welchen Stellen fiktionalisieren? Würde ich dies überhaupt beim Lesen nachvollziehen können? Überhaupt wollen?

Als ich zu lesen beginne, finden die unterschiedlichen Erzählebenen meine Aufmerksamkeit. Ob ich hieran erkennen kann, was Dichtung und was Wahrheit ist? Verschiedene Kindheitserinnerungen sind in der Gegenwart formuliert, als würden sie gerade geschehen. In die Distanz geht sie trotzdem, in dem sie sich selbst „das Mädchen“ nennt und von „der Mutter und dem Vater“ spricht. Noch distanzierter werden ihre Schilderungen, wenn sie perspektivisch in die Vergangenheit wechselt „Als das Mädchen klein war, durfte sie morgens…“

Nach den ersten 50 Seiten lasse ich mich auf die Geschichte ganz ein und suche nicht mehr nach Unterscheidungskriterien für Reales von Fiktionalem. Vielmehr lasse ich mich berühren von den Episoden, die in unterschiedlichen Lebensphasen der Protagonistin bzw. der Autorin spielen. Es bewegen mich sowohl die Stellen, als sie über das Kind und die Jugendliche schreibt, das bzw. die sich bemüht, des Vaters Aufmerksamkeit zu gewinnen und die Nähe zur Mutter aufrechtzuerhalten. Beides ein mühsames und emotional bewegendes Unterfangen, da die Eltern berühmt und daher beruflich viel unterwegs sind. Aber auch die Aufzeichnungen der Interviews berühren mich, die sie mit ihrem Vater führt, als dieser schon alt ist – ja, wie wir später wissen – in seinem letzten Lebensjahr. Die Gespräche sind protokolliert, Szenen wie in einem Bühnenstück. Sie holen den Erzählstrang in die Gegenwart, durchziehen den gesamten Text, unterbrechen die narrative Rückschau der Autorin. Der Vater hatte geplant ein Buch über das Altwerden zu schreiben, musste aber feststellen, dass er dazu nicht mehr in der Lage war. Die Transkripte der Gespräche verdeutlichen aber umso viel anschaulicher, als eine Erklärung es jemals könnte, wie sich der Prozess des Alterns darstellen kann: aufblitzende Klarheit, der Wunsch nach Verstehen, Bilanzieren, Rufe der Vergangenheit, Halt in festen Strukturen, das Verwischen von Traum und Wirklichkeit, Abschiednehmen… Es entsteht ein Bild, in Bruchstücken. Szenen eines Alterns könnte man sie nennen eingebettet in Fragmenten einer liebeersehnten, annehmenden Beziehung.

Für mich war es am Ende der Lektüre nicht mehr wichtig, nachzuvollziehen, was wahr oder nicht wahr ist in dieser Geschichte. Gerne lese ich diesen Roman zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal und vielleicht dann mit Stift in der Hand, um zu notieren, ob die Formen der unterschiedlichen Erzählstränge Aufschluss geben können, über den Gehalt an Autobiografischem. Bis dahin erinnere ich mich an die Passagen, die von der Verletzlichkeit zeugen, sowohl die der Kindheit als auch des Alters. Und die Sprache klingt in mir nach. Ehrlich und hingebungsvoll kleidet sie den Prozess des Werdens und des Vergehens in eine bewegende Vater-Tochter- / Mutter-Tochter-Geschichte ein. Großartig.

Das Buch wurde von mir selbst gekauft.